Seit einigen Wochen herrscht in der Ukraine Krieg. Und obwohl Oro und damit Kollegen unmittelbar betroffen sind, unsere tägliche Arbeit von Unerreichbarkeit, Flucht und Organisationsanforderungen für konkrete Hilfeleistungen unterbrochen und durchzogen wurde und wird, hat es bis jetzt gedauert, dass ich dazu einige Worte finden will.
Hauptsächlich auch deswegen, weil ich nicht sofort darüber reden wollte, was wir tun müssten, sondern erst wissen wollte, was ich wirklich tun kann.
“enable & connect” war – auf die vergangenen Wochen zurückblickend – der Weg zu zielgerichteter Unterstützung
Wie begründet eine Lebenseinstellung ist, zeigt sich auch daran, wie stark sie durch äußere Ereignisse ins Wanken geraten kann. Ob sie einen “Realitäts-Crash” aushält. Das Prinzip enable & connect hat sich nicht relativ schnell “erholt”, sondern sogar einen großen Vorteil gezeigt.
Praktische Fragen: Was können wir eigentlich tun?
Erstaunlich schnell hatten wir eine erste Hilfslieferung zusammen. Das lag vor allem auch daran, dass wir ein gutes Netzwerk aktivieren konnten. Es kamen konkrete Anfragen aus der Ukraine, die wir entsprechend zielgerichtet beantworten konnten.
Vor allem zeigte sich, dass für diejenigen, die helfen wollten, aber nicht wussten wie, dieser konkrete Aufruf hilfreich war. Wir haben bestehende Kontakte genutzt, um Informationen zu bekommen und später auch, um mit Hilfe unserer polnischen Kollegen eine Logistik aufzustellen. Ein Kollege und ich haben die Sachen später an die polnisch-ukrainische Grenze gebracht.
Die individuellen (geschäftlichen!) Fähigkeiten waren gefragt
Die Hilfsgüter stammen mehrheitlich aus den Bereichen Verbandsmaterial, Outdoor, Kommunikation, Sicherheit und Nahrungsmittel. Über Oro haben wir einen Kommunikations-Kanal eingerichtet, über den viele Partner und verbundene Unternehmen dazu beigetragen haben (und weiterhin beitragen), dass die Hilfsgüter in nennenswertem Umfang auch tatsächlich zusammenkommen.
Dadurch, dass in kurzer Zeit viele Menschen beteiligt waren, trafen auch viele Fähigkeiten aufeinander. Wir konnten gut abstimmen, vernetzen und organisieren. Andere wussten, wo man was besorgen kann, wie man welche Dinge verpackt – “Werft die Sachen nicht einfach irgendwie ins Auto!” – damit sie nach einer solchen Reise auch brauchbar ankommen. Und unser weltweites Netzwerk hat uns auch finanziell unterstützt.
Zusammenarbeit zahlt sich aus. Und auch eine gute Vertrauensbasis.
Was ich nicht verschweigen will, ist, in all der Hilfsbereitschaft, dass der Krieg erschütternd und in dieser Intensität überraschend in unser aller Gegenwart eingeschlagen ist. Im Krieg stirbt die Wahrheit als erstes. Propaganda aller Orten erschwert es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wir sollten uns nicht dazu hinreißen lassen, Menschen aus Russland generell als Feinde zu betrachten. Es ist falsch, Menschen aufgrund ihrer Herkunft aus unserer Mitte auszuschließen, wie es leider bereits vorgekommen ist. Genau das Gegenteil ist richtig. Wir müssen Menschen aus Russland die bei uns sind, in unserer Mitte weiter willkommen heißen. Das gilt nicht für Menschen, die die Aggression unterstützen oder schüren – egal, welcher Nationalität oder Herkunft sie sind.
Vor ein paar Jahren hatte ich einen Aha-Moment beim Lesen dieses Buches: Viele denken, der Normalzustand ist Frieden, und der Krieg ist die Ausnahme. Das spiegelt sich in Aussagen wie: „Wenn man nur alle Waffen verbietet oder abschafft – dann ist Frieden.“
Das Problem dabei – man erwartet, dass sich der Frieden automatisch als Normalzustand einstellt, wenn man einfach aufhört, etwas Böses zu tun.
Kein Frieden durch Nichtstun
Genau das Gegenteil ist aber richtig. Man muß immer aktiv daran arbeiten, dass es friedlich bleibt. Frieden ist nicht selbstverständlich oder der Naturzustand, sondern eine wertvolle Errungenschaft, die einem auch schnell wieder aus den Fingern gleiten kann.
Und dann entstehen Momente, wo das aktiv arbeiten bedeutsamer wird, als nur darüber zu reden. Wo der Kontrast zutage tritt, zwischen dem, was Menschen sagen und in sozialen Netzwerken teilen, und dem, was sie wirklich zu tun bereit sind.
Im Anfang war die Tat!
Faust I, Kap.1
Hoffentlich am Anfang einer neuen gemeinsamen Zukunft nach diesem Krieg, die nicht überall verhärtete Menschen gegeneinander stehen lässt.
Nach meinem Verständnis schafft friedlicher Handel Vertrauen zwischen Menschen. Jetzt auch große Teile des zivilen Handels zu beenden, bis hin zu Boykottaufrufen von Nahrungsmitteln und Büchern, birgt die große Gefahr, Brücken einzureißen.
Ich hoffe, es kann uns neben der konkreten Hilfe für die vom Krieg Betroffenen gelingen, auf ein würde- und vertrauensvolles Nachher hinzuarbeiten.