Es folgt: Die Jahresvorhersage für 2022

Bekanntlich sind Vorhersagen recht schwierig, insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen.

Dieser schon recht abgegriffene Spruch hat nichts von seiner Gültigkeit verloren und auch ich behaupte nicht, über eine Glaskugel oder ähnliches Werkzeug zu verfügen, mit dem man in die Zukunft schauen kann.

Wenn man aber nicht daran glaubt, dass alles, was uns geschieht, reiner Zufall oder durch das Schicksal vorherbestimmt ist, sondern durchaus durch unser Handeln beeinflusst werden kann, lohnt sich die Mühe, ein paar Überlegungen über die Zukunft anzustellen. 

Die Zukunft – Das unentdeckte Land

Ich habe in den letzten Monaten das Buch Maps of Meaning von Jordan Peterson entdeckt und mich damit beschäftigt. Einer der Grundgedanken darin ist, dass wir Menschen für zwei Zustände gemacht sind. 

Auf einer Karte könnte das so aussehen: In einem Zustand befindet sich der Mensch auf bekanntem Gebiet, in dem anderen in unbekanntem Gelände.

Auf dem bekannten Gebiet haben wir eine klare Vorstellung davon, wie die Welt um uns ist und welche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge es gibt. Wir richten unsere Handlungen an diesen Vorstellungen aus und solange das erwartete Ergebnis eintritt, befinden wir uns auf gewohntem Terrain.

Sobald unsere Handlungen nicht den erwarteten Effekt zeigen, bemerken wir, dass unser Weltbild wohl doch nicht so stimmig ist, wie wir angenommen haben. Wir befinden uns dann in “unerforschtem” Gelände und agieren vorsichtiger. Wir treffen Annahmen und überprüfen diese solange, bis wir uns sicher sein können, dass sie zutreffend sind und passen dann unser Weltbild und unsere Handlungen entsprechend an.

Die Zukunft ist naturgemäß “unerforschtes” Gebiet und es empfiehlt sich deshalb nicht, einfach so hinein zu stolpern. Dies gilt erst recht in turbulenten Zeiten, in denen vieles Gewohnte in Bewegung geraten ist.

Die nachfolgenden Vorhersagen sind also kein untauglicher Versuch, mich als Hellseher zu betätigen, sondern das redliche Bemühen, eine grobe Karte von dem vor uns liegenden Gebiet – 2022 – zu entwerfen und sich dann auf den Weg in ein neues Abenteuer zu begeben. Immer bereit, die Richtung zu ändern, wenn sich die Karte als falsch erweist oder bis zur letzten Gabelung zurück zu gehen, wenn sich der eingeschlagene Weg als Sackgasse erweist.

Bei aller Unsicherheit, was das neue Jahr bringt und was wir auf unserem Weg durch das “unerforschte Gelände 2022” entdecken werden, Eines steht schon fest. In 12 Monaten können wir auf das Jahr zurückblicken und es zeigt sich, welche der Vorhersagen eingetroffen sind und welche nicht.

Was sind die relevanten Themen 2022

Der Titel dieses Blogs – fleck2digital – legt nahe, dass es vor allem um digitale Themen gehen soll. Da wir alle aber (noch) nicht in einer rein digitalen Welt leben, werfe ich zunächst einen Blick auf die “weltlichen” Themen und leite daraus ab, welche Auswirkungen dies auf den Digitalbereich haben wird.

Corona

Digitalisierung ist nicht die Vertouchscreenung von Oberflächen oder die Verexcelung der Buchhaltung

Auch wenn es kaum noch einer hören oder lesen mag: Corona wird auch in 2022 ein bestimmendes Thema bleiben und sich auf alle Lebensbereiche auswirken. Dabei ist es auch eher egal, ob die Corona-Maßnahmen nach der Omikron-Welle enden, oder eine weitere Mutation folgt.

Entscheidend ist vielmehr, dass bis auf einige Ausnahmen fast alle Menschen online sind und gelernt haben, das Internet für ihre Zwecke zu nutzen – vom Online-Banking über Entertainment bis zur Erledigung von Einkäufen und Verwaltungsaufgaben. Die Nachfrage nach digitalen Diensten wird weiter steigen.

Zugegeben – für das “consumer internet” ist das keine gewagte Voraussage sondern eher eine Binsenweisheit. Verdeckter sind die Veränderungen allerdings im “internet of work”. Hier verwundert es, dass die Digitalisierung in vielen Bereichen vergleichsweise recht zögerlich vorankommt.

Beruflich beschäftige ich mich hauptsächlich mit der Digitalisierung des Vertriebs im B2B – also den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen. Zwar haben viele Unternehmen erkannt, dass ihre Kundenbeziehungen zu ihren wichtigsten Assets gehören und entsprechend gepflegt werden müssen. Es setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass die Beziehungen sehr stark durch die Mitarbeiter des Unternehmens geprägt werden und deshalb die eigenen Mitarbeiter befähigt werden müssen, sich wieder mehr um die Kunden und deren Bedürfnisse zu kümmern. 

Trotzdem hängen viele Unternehmen noch zwischen den Stühlen, wenn es um eine echte Digitalisierung geht. Durch diese könnten Mitarbeiter von Routineaufgaben entlastet werden; tatsächlich pflegen sie eine Excel-Tabelle nach der anderen und verlieren den Überblick. Mit integrierten CMS könnten abteilungsübergreifend Mehrwerte für die Kunden entstehen; tatsächlich verlieren sich Leads in der Flickenteppich-Übergabe unterschiedlicher Tools und Mitarbeiter.

Vertouchscreenung von Oberflächen oder die Verexcelung der Buchhaltung – werden ein merkliches Wachstum im B2B verzeichnen. Die traditionellen Strukturen werden durch digitale Netzwerkstrukturen verdrängt. 

Wirtschaftsentwicklung und Inflation

Seit dem Tiefpunkt nach dem ersten “Corona-Schock” im März 2020 kannten viele Börsenkurse nur eine Richtung und die meisten Indizes stehen aktuell in der Nähe ihres Allzeithochs. Ein Grund dafür wird auch in der ultralockeren Geldpolitik der führenden Zentralbanken gesehen und das Thema Inflation taucht jetzt immer häufiger auch in den allgemeinen Medien auf. Manche sagen jetzt schon eine Hyperinflation sowie den Crash des Dollars und/oder des Euros voraus. Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch die Prognose nicht fern, dass der Bitcoin oder eine andere Kryptowährung die von manch einem ersehnte Lösung darstellt.

Ich möchte mich dahingehend festlegen, dass wir in 2022 die großflächige Einführung einer digitalen Währung erleben werden. Konkret vermute ich, dass China seine Tests mit dem digitalen Yuan – auch e-CNY genannt – auf weite Teile des Landes ausdehnt. Die EU wird im zweiten Halbjahr mit Tests in Europa beginnen. Da die Zentralbanken keine Konkurrenz für ihr neues Geld gebrauchen können, werden Bitcoin und Co. weiter unter Druck geraten und der Preis für Bitcoins Ende 2022 unter 20.000 EUR gefallen sein.

Geopolitik

Zu Beginn des Jahres blicken die Europäer auf die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. Die weit größeren Spannungen entstehen aber im Südchinesischen Meer zwischen China und Taiwan, welches sich der Unterstützung durch die USA nicht mehr gewiss sein kann.

Meine Voraussage für 2022: Wir werden keine größeren “klassischen” militärischen Auseinandersetzungen sehen. Kriegsführung im Cyberspace wird “sichtbarer”. IT Sicherheit gewinnt an Bedeutung.

Wir werden keine größeren “klassischen” militärischen Auseinandersetzungen sehen. Zum einen sind diese Operationen für alle Beteiligten zu kostspielig und politisch nicht zu vertreten. Zum anderen hat sich die Kriegsführung längst (auch) in den digitalen Bereich verlagert. Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in den letzten Zügen des kalten Krieges, wurde das Wettrüsten in den Weltraum ausgedehnt und kam als viertes Szenario zur Kriegsführung zu Lande, zu Wasser und in der Luft hinzu. Stichwort Strategic Defense Initiative – SDI.

Interessanterweise fällt der Beginn der kommerziellen Nutzung des Internet mit dem Ende des kalten Krieges um 1990 zusammen. Mit zunehmender Verbreitung des Internet wurde der sogenannte Cyberspace auch zum neuen Schlachtfeld. Bei der Kriegsführung im Cyberspace sind grob zwei Bereiche zu unterscheiden: Desinformation und Propaganda auf der einen sowie Spionage und Sabotage auf der anderen Seite.

Bisher tobt das Kampfgeschehen noch weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. Obwohl – unbemerkt ist nicht die treffende Formulierung. Die Öffentlichkeit nimmt schon wahr, dass etwas passiert. Immer häufiger gibt es Nachrichten über Hackerangriffe und die Spaltung der Gesellschaft ist kaum noch zu übersehen. Viel zu selten wird aber nachgefragt, wer hinter den Angriffen steht und wie es zur Manipulation der öffentlichen Meinung kommt.

Ein guter Einstieg in dieses Thema sind die Videos von SmarterEveryDay, die zeigen, wie die Manipulation auf Social-Media-Plattformen funktioniert. Auch ich hatte im Oktober 2020 schon mal etwas zu diesem Thema geschrieben: Rainy clouds — why not bet on AMZN, GOOGL, MSFT & Co. und die “Einschläge kommen näher”.

Wie geht man damit um? Sowohl beim Thema IT Sicherheit aber auch bei den Themen Propaganda und Falschinformationen ist das Problembewusstsein der erste wichtige Schritt. Wer noch denkt, ihn betrifft das alles gar nicht, wird kaum die notwendige Aufmerksamkeit an den Tag legen, um Phishing-Mails oder auch Fake News zu erkennen. Für den IT Security-Bereich gibt es inzwischen gute Trainingsprogramm zur Steigerung der sogenannten “Security Awareness”. 

Beim Thema Medienkompetenz ist das Angebot noch nicht so gut ausgebaut. Der Newstest ist hier ein guter Einstieg. Erst im nächsten Schritt lohnt es sich, über technische Hilfsmittel nachzudenken.

Für eigene Veröffentlichungen – egal ob privat oder geschäftlich – wird Authentizität zum Maß der Dinge und zur “harten Währung” auf dem Marktplatz für Informationen

B2B Ecommerce Software

Last but not least ein Ausblick für den Bereich B2B Ecommerce-Software und hier insbesondere für die Softwareprodukte, die für den deutschen Markt relevant sind. (Reihenfolge ausgehend vom letzten Gartner) 

Disclaimer: diese Vorhersagen sind nicht ganz ernst gemeint und mit einem Augenzwinkern zu lesen.

Oro

Oro wird in diesem Jahr mehr als 10 neue Kunden gewinnen und damit seine führende Position im Bereich B2B Digital Commerce weiter ausbauen. Als hidden champion für hidden champions liegt der Kundenfokus auf mittelständischen Unternehmen, die ihren Kunden mit digitalen Services Mehrwerte anbieten wollen.

SAP

Nachdem SAP hybris “verdaut” hat, wird es sich als nächstes Sana einverleiben. Sana hatte sich in den letzten Jahren als E-Commerce Frontend für SAP und Microsoft einen Namen gemacht. Mit der Acquisition kommt SAP Microsoft zuvor. Microsoft beschäftigt sich daraufhin näher mit Spryker.

Adobe (Magento)

Magento wird immer mehr in die Adobe experience cloud integriert und einige Kunden wissen gar nicht mehr, dass hinter Adobe commerce eigentlich Magento steckt. Die Magento Association wird in Shopware Community umbenannt. Da die meisten Protagonisten ohnehin schon bei Shopware sind, ändert sich sonst nicht viel.

Salesforce

Salesforce bleibt Salesforce. Allerdings werden einige Kunden wie vom Blitz (lightning) getroffen merken, dass es zwei verschiedene Produktlinien im Bereich Commerce gibt. 

Commerce tools

Nachdem sich der Vorreiter im Bereich “headless” in 2020 mit dem Zukauf von Frontastic einen Kopf zugelegt hat, bleibt abzuwarten, ob dieser auch genutzt wird. Solange wird man versuchen, mit dem neuen Begriff composable commerce den kognitiven Widerspruch aufzulösen.

Intershop

Trotz großer Turbulenzen an der Börse wird Intershop in seinem Handelsband zwischen 4 und 6 EUR bleiben. 

Spryker

Da Microsoft bei Sana nicht zum Zug gekommen ist – siehe oben – wird Spryker als Übernahmekandidat ins Visier genommen. Wenn Spryker nicht bis zum 3ten Quartal den IPO geschafft hat, kann Microsoft die Übernahme im Q4 bekannt geben.

Shopware

Shopware schafft den Durchbruch in den USA und übernimmt den Großteil der dort noch verbliebenen Magento 1 Shops. Im Heimatmarkt Deutschland hat Shopware jedoch zunehmend mit Shopify zu kämpfen. Als weiterer Wettbewerber in diesem Segment macht bigcommerce Shopware zunehmend das Leben schwer.

Update #1

08.02.2022 – Shopware veröffentlichte eine Pressemitteilung mit dem Titel: „Shopware erhält 100 Millionen USD Wachstumskapital von Carlyle und PayPal“ – darin heißt es weiter „Das Wachstumskapital von Carlyle und PayPal wird die internationale Expansion von Shopware und die Entwicklung neuer Produkte vorantreiben.“ Damit wird die Vorhersage, dass Shopware den Durchbruch in den USA schafft um einiges wahrscheinlicher.

Update #2

15.02.2022 – Wenn sich die Aussagen aus dem Podcast der E-Commerce Dudes „Adobe beerdigt Magento 2…“ bestätigt, wäre auch eine weitere Vorhersage eingetreten … und wir sind gerade im Februar.

Update #3

20.06.2022 – Der Preis für einen Bitcoins ist unter die 20.000 EUR Market gefallen. Zugegeben: noch ist das Jahr nicht zu Ende und auch die Begründung für den aktuellen Preisverfall mag eine andere sein.

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